Ilse Haider
CROSSING THE LINE
In der aktuellen Ausstellung zeigt Ilse Haider eine Serie von Bildern von Schauspieler*innen aus Filmen der 1960er und 1970er Jahre. Die Bild-Objekte und Skulpturen wurden in der für sie typischen 3-dimensionalen Fototechnik ausgeführt. Durch die Betrachtung im richtigen Blickwinkel werden die Gesichter der Frauen auf komplex strukturierten Holz-Elementen sichtbar und geradezu greifbar, wirken dabei aber trotzdem unnahbar und entrückt.
Den Portraits sind vier kleinformatige Foto-Reliefs mit Szenen aus Filmen von Pier Paolo Pasolini, Michelangelo Antonioni, John Cassavetes und John Huston gegenübergestellt. Diese Arbeiten sind ebenfalls als dreidimensionale Fotografien konzipiert, heben sich durch die dargestellten Szenen mit grell-bunten Farbhintergründen deutlich von den ruhigen, geradezu klassizistisch anmutenden weiblichen Portraits ab und liefern zugleich den Schlüssel zu ihrem Verständnis: in all diesen Filmen werden Frauen gezeigt, die versuchen aus Normen auszubrechen, Grenzen zu überschreiten oder aus unerträglichen Situationen zu entfliehen und die dafür mit Abwertung oder Ausgrenzung bestraft oder mit der eigenen Schwierigkeit, ein Leben außerhalb der Norm zu führen, konfrontiert werden.
Die weiblichen Portraits sind die Essenz dieses Gefühls, bei dem etwas aus dem Lot gekommen ist, sich geometrische Strukturen und Muster wild verschoben haben und uns mit dem ernüchterten Ausdruck angesichts einer unwirtlichen und kalten Realität konfrontieren. Dort, wo die Muster einer klaren Geometrie gehorchen, verschwinden die Gesichter im Netz der einzelnen belichteten Elemente und lassen sich nur allmählich in der zentralen Perspektive erkennen.
Ilse Haider rückt mit Crossing the Line Bilder in den Fokus, die von einer Zeit erzählen, in der gesellschaftliche und sexuelle Normen gesprengt wurden zugunsten einer befreiten und selbstbestimmten Gesellschaft. Gut 50 Jahre nach diesen sozialen Umbrüchen stellt sich die Frage, was von dieser Befreiung geblieben ist und wo der Zwang zur Anpassung und Normierung wieder überhandgenommen hat. Während der Druck, das eigene Bild einem sozial und technisch geformten Ideal anzupassen gerade ins Unermessliche steigt, haben sich auch einst progressive Ansätze zum Zwang verkehrt und fordern unerbittlich Correctness ein ohne jeglichen Widerspruch zu dulden. Ilse Haiders Portraits lenken den Blick auf Frauen, die sich im Out befinden, auf der falschen Seite der richtigen Moral. Sie beschreibt damit ein Thema, das sich vom zutiefst weiblichen und künstlerischen Dilemma zum zentralen Widerspruch der digitalen Medien-Realität entwickelt hat: der Zwang gefallen zu müssen, ohne das eigene Selbst zu opfern.
Herbert Schnepf